27.09.2015

Befreiung vom Überfluss

ontopic

Das ist der Titel des kleinen Büchleins von Niko Paech, Professor an der Uni Oldenburg und bekannter deutscher Wachstumskritiker.

Es gibt auf Youtube zahlreiche Vorträge, Diskussionen und Interviews von und mit Prof. Paech, falls jemand zusätzlichen Input haben möchte - unter anderem eine 20-minütige (Youtube, dt.) Einführung und ein dreiteiliges Interview mit Ken Jebsen.

Die skizzierten Probleme werde ich hier nicht im Detail wiederholen, das habe ich im letzten Dreivierteljahr ausführlich gemacht. Neben dem Fakt, dass Rohstoffe knapp werden (Peak Oil, Peak Soil, Peak Everything) und wir unsere Umwelt versauen, ist für Niko Paech auch die in vielen Fällen subjektiv empfunden sinkende Lebensqualität ein Grund zum Überdenken unseres Wirtschaftssystems inkl. Wachstumswahn.

"Wir" (= besonders die Bevölkerung Europas, Nordamerikas) können uns mehr leisten als jemals zuvor, und doch haben wir einen alarmierenden Anstieg an psychischen Erkrankungen (Depression, ADD, Burnout,...) und der Verwendung von Antidepressiva und anderen Psychopharmaka zu verzeichnen.

Wir besitzen immer mehr Zeug, haben aber immer weniger Zeit, uns einzelnen Tätigkeiten zu widmen - was auch der schier unüberblickbaren Anzahl von Möglichkeiten geschuldet ist. Immer mit der Angst im Nacken, man verpasst etwas.

Daher auch der Titel des Buches: Reduktion nicht als Verzicht verstehen, sondern als Befreiung. Aussteigen aus dem Hamsterrad des immer mehr haben wollen, haben müssen.


Interessant ist der Einstieg in seine Vorträge, in dem er auf einen Widerspruch hinweist:

Wenn wir es damit ernst meinen, 1. weniger entwickelten Ländern die Möglichkeit zum aufholen zu geben ("Welthunger und Armut auslöschen"), und 2. das 2°C - Klimaziel zu erreichen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern, dann kann diese Rechnung nur aufgehen, wenn die höher entwickelten Länder ihren Industrieoutput und (materiellen) Lebensstandard drastisch verringern.

Ansonsten müssen wir so ehrlich sein und uns von einem dieser beiden Ziele verabschieden - und mit den Konsequenzen leben:

Entweder die Menschen kommen zu uns, weil aufgrund der Ressourcenverteilung ein höherer Wohlstand in ihren Heimatländern nicht möglich ist, oder sie kommen zu uns, weil viele Gegenden unbewohnbar werden durch Dürren, Anstieg des Meeresspiegel, Naturkatastrophen,... So oder so: We are fucked.

(Sorry, da sprach wohl Derrick Jensen aus mir!)


Weitere Punkte, die Niko Paech anspricht, sind unter anderem:

"Grünes Wachstum" ist laut Niko Paech ein völlig absurdes Konzept, denn es wird in der Realität nie möglich sein, wirtschaftliches (also materielles) Wachstum von ökologischen Schäden zu entkoppeln.

Auch Sonnenkollektoren oder Windräder müssen produziert und irgendwann entsorgt werden, Flugzeuge werden vermutlich nie mit Sonnenenergie fliegen können, und ein völliges Ersetzen von fossiler Energie mit "erneuerbaren" niemals möglich sein.

Warum unsere ganze Landschaft also mit Photovoltaikanlagen und Windparks zupflastern, wenn man diese Flächen viel besser nutzen könnte?

Wobei er nicht grundsätzlich gegen alternative Energiequellen ist, sondern betont, dass eine Umstellung ("Energiewende") nur sinnvoll sein kann, wenn man sich vorher auf eine stabiles, stark reduziertes Konsumniveau geeinigt hat.

Zur Wiederholung:

Egal, welche Maßnahmen man ergreift - eine Lösung kann nur gefunden werden, wenn man zuerst als Gesellschaft begreift, dass wir auf diesem hohen Konsumniveau nicht weitermachen können. Nicht global. No chance.


Ein wichtiger Schritt, der früh erfolgen muss und automatisch eine Lösung einleiten würde, wäre ein Stoppen des "Förderwahnsinns". Es gibt kaum Industrien, dazu gehört vor allem auch die Nahrungsmittelindustrie, die nicht massiv gestützt wird - die Folge davon ist, dass wir als Verbraucher keine Ahnung haben über die wahren Kosten der Dinge, die wir konsumieren.

Kaum jemand könnte sich eine Flugreise leisten, wenn der Schaden durch den CO2-Ausstoß im Ticketpreis enthalten wäre. Ölpreise wären ebenso weit höher, wenn die Folgen von Oil Spills von den Erzeugern bezahlt werden müssten, also im Produkt landen würden, und nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt würden.

Den ach so günstigen Atomstrom braucht man in diesem Zusammenhang gar nicht erst erwähnen, und kaum eine Mine (egal ob Kohle, Metall,...) arbeitet, ohne massive ökologische Schäden zu hinterlassen.


Wäre es möglich, Konsumgüter mit ihrem wahren, über die gesamte Entstehungskette enstehenden Preis zu belegen, würde sich die Lösung von allein aufdrängen:

Die Kaufkraft der Bevölkerung wäre empfindlich verringert, was bedeutet, der Konsum von "Luxusgütern" würde notgedrungen stark zurückgehen. Regionale Produkte wären plötzlich weit günstiger als die Weintrauben aus Costa Rica, und Reparaturen würden sich wieder lohnen.


(Und wir würden endlich einsehen, dass eine "freie Marktwirtschaft" ohne Einmischung des Staates nur ein Märchen ist und war.)


Niko Paech ist ein Befürworter von Reparaturcafés, Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftshilfe, gemeinnütziger Arbeit, Genossenschaften und der 20-Stunden-Woche.

Die Idee dahinter: Wenn wir weniger (neues) Zeug brauchen, weil wir 1. genügsamer sind, 2. die Lebensdauer verlängern, 3. Geräte gemeinschaftlich nutzen und 4. vermehrt wieder manuell und in Eigenleistung arbeiten,... dann kann die industrielle Produktion stark zurückgefahren werden, was zur Folge hat, dass weniger Rohstoffe und Energie verbraucht werden, weniger Schäden entstehen und Zeit frei wird.

Nach seiner Vision werden Menschen zu "Prosumenten" - ein Mischwort aus "Produzent" und "Konsument":

Menschen verdienen noch Geld, um konsumieren zu können - die frei gewordene Zeit wird aber für die "Produktion" verwendet, in Eigenverantwortung. Das kann das Anbauen von Nahrung im eigenen Garten sein, aber auch das Reparieren von Kleidung, Möbelstücken, Elektrogeräten,... Der "fehlende" Verdiensteingang wird durch Eigenleistung aufgestockt.

Niko Paech will aber nicht den "Fortschritt" zurückdrehen, sondern die Auswüchse beschneiden. Nichts gegen Computer, Kamera, Handy und Smartphone - aber muss es jedes Jahr ein neues sein? Muss jeder in der Familie ein eigenes Gerät besitzen?


In einer Tabelle zusammengefasst, sieht Niko Paechs Wachstumsökonomie in etwa so aus:


Aufteilung Arbeitszeit:

→ 20 Std. ENTKOMMERZIALISIERT:
    1. Suffizienz "Genügsamkeit" (Entschleunigung, Entrümpelung,...)
    2. Subsistenz "Selbständigkeit" (Eigenproduktion, Reparatur, Tauschgeschäfte,...)
→ 20 Std. MONETÄR:
    3. Regionale Ökonomie (Lokale Produktion, Regionalwährung,...)
    4. Globale Arbeitsteilung


Erreicht werden kann das nur über einen "bottom-up-approach", also von der Bevölkerung ausgehend. Niko Paech ist der Ansicht, die Politiker seien heutzutage zu schwach, um größere Veränderungen anzustoßen - und angewiesen darauf, dass die Wählerschaft signalisiert, dass sie Einschnitte verkraften kann.

Nur wenn eine breite Zustimmung zu sehen sei, könne es sich auch die Politik leisten, einzulenken.


Jetzt, wo ich das hier zusammenfasse, fällt mir auf, dass ich das das meiste wohl schon mehrmals geschrieben/gesagt habe. Aber mir scheint, in Zeiten wie diesen kann man solche Dinge nicht oft genug wiederholen.

Von daher empfehle ich erst recht die Interviews und Vorträge, und das Buch verleihe ich gerne, wenn Interesse besteht.


 
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