01.07.2023

Kyiv: Tag 1 und 2

dispatches

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Heute ist schon Samstag (die dritte ruhige Nacht in Folge!), in den letzten Tagen bin ich vor lauter Besorgungen und Blogbeiträgen schreiben kaum zum Lernen gekommen, was ich heute und morgen nachholen will.

Ruhig angehen lassen, ich habe Zeit. Gestern habe ich schon erfolgreich mit der eigenen Waschmaschine Wäsche gewaschen (und gleich heldenhaft zwei Taschenlampen mitgewaschen*) und ich habe mir Nudeln mit Schwammerlsauce gekocht (habe *hust* abgelaufene Fertigsuppen von zuhause mitgenommen).

*) Trocknen lassen, Batterien getauscht, geht wieder! Erstaunlich. (Die waren in der Tasche, die ich unterwegs überall abgestellt und deshalb gleich in die Waschmaschine gesteckt hatte).

Den Großteil der To-Do-Liste für Tag 1 hatte ich schnell abgearbeitet:
     Frühstücken
     sim-Karte fürs Smartphone (für mobiles Internet) besorgen
     Lebensmittel einkaufen
    Analog-Stadtplan organisieren

Bei Aprilwetter. Immer wieder Schirm auf, Schirm zu, Jacke an, Jacke aus. Einmal sogar unterstellen, weil es SO geschüttet hat. Da verwandeln sich die Straßen gleich in Sturzbäche, das ist enorm. Ich glaube, die Kanalisation funktioniert hier anders als zuhause, und auch Dach-Regenwasser wird via Dachrinne einfach auf die Straße geleitet. Gut, dass ich wie immer meine Holzhackerschuhe dabei habe!

Was sich als echte Herausforderung herausstellte, war die Öffi-Karte. Es gäbe auch eine App, aber da ich meine elektronischen Geräte jetzt mit einem Virenschutzprogramm abgesichert habe, muss ich für jeden Handgriff unzählige Pins und Codes eingeben, da werde ich wahnsinnig, wenn ich mich da jedes Mal herumärgern muss. Außerdem: Was, wenn der Akku aus ist?

Man könnte anscheinend auch die Kreditkarte als Zugangskarte einrichten, aber mit der will ich schon gar nicht ständig herumwedeln müssen.

Also wollte ich die blaue Prepaid-Karte haben: Am Automaten bin ich gescheitert, die Verkaufsstellen, die ich aufgesucht hatte, gab es nicht mehr, sodass ich letztendlich in der Hotellobby um Hilfe gebeten hatte, aber auch dort: Schwierig!

Die haben versucht, per Internet und Telefon Information zu erhalten, waren am Ende aber auch nicht schlauer als ich. Ein Problem ist nämlich (und das gilt für viele Services hier), dass niemand nach Ausbruch des Krieges die im Internet verfügbaren Informationen aktualisiert hat, man erhält also oft Auskunft, die schlicht nicht (mehr) gültig ist.

Also hat die nette junge Dame angeboten, mit mir zur nächsten U-Bahnstation zu gehen, um den Automaten gemeinsam zu bezwingen. Das hat zuerst auch nicht funktioniert, sie hat dann aber jemanden gefunden, der Auskunft geben konnte, und so kam ich dann doch noch zu meiner Транспортна карта.

Was mir die erste "Die Welt ist aber klein!" - Begegnung beschert hat: Besagte junge Hoteldame hatte nämlich das letzte Jahr (März - März) ausgerechnet in Österreich verbracht! Und kann jetzt definitiv besser deutsch als ich ukrainisch.


Gestern habe ich die mühselig erworbene Karte auch gleich ausprobiert (funktioniert!), die U-Bahn ist alt, aber flott (und erst die Rolltreppe, da muss man echt aufpassen!) und hat mich zum Поштова площа gebracht, von wo aus ich den Weg zum künftigen Sprachunterricht gesucht (und gefunden) habe! Und dann auch den Dnipro!

[Ich verlinke hier übrigens nur ein paar Bilder, die ganze Ausbeute (mit weniger Text) gibt's im album zu bestaunen.]


Die Atmosphäre dort war definitv anders als in "meinem Quartier": sehr ruhig, ganz wenig los, sogar weniger Straßenverkehr. Man kann den Fluss entlang auf einer sehr großzügigen Promenade dahinwandeln, dort hat natürlich alles zu (ich frage mich, ob da Covid nicht auch schon einen Beitrag geleistet hatte!), aber das ganze Ufer ist voll mit Fischern.

Ich kam dann an eine Fußbrücke über den Fluss zu einer der Sandstrand-Inseln, aber dort stand eine Gruppe Soldaten herum, und auch wenn andere Leute ungerührt an denen vorbeigelaufen und -geradelt sind, habe ich dann doch eine andere Richtung eingeschlagen. Ich habe immer noch keine gute Antwort auf die Frage, was ich hier eigentlich mache und keine Intuition, wovon man sich besser fernhält. Also better safe than sorry.


Ich bin den Hügel hinaufgegangen und im Park mit der Statue von Prinz Wolodymir, einer der wichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte der "Kyiver Rus", gelandet. Dort befindet sich auch die sogenannte "Klitschko - Brücke", die Schlagzeilen gemacht hatte, weil sie nach der Beschädigung der Kerch-Brücke (Brücke von der Krim aufs russische Festland) im russischen Rache-Bombardement getroffen worden war.

Blick von der Brücke auf den Dnipro und die Insel mit Sandstrand


Geht man den Hügel hinunter, landet man auf dem "Europaplatz", der den Beginn der "Hauptstraße" von Kyiv bildet: Der "Вулиця Хрещатик" (Chreschtschatik Straße), und ein paar Schritte weiter befindet sich auch gleich der berühmte "Maidan" ("Майдан Незалежності"), der Unabhängigkeitsplatz, auf dem 2013/2014 der "Euromaidan" ("Revolution der Würde") stattgefunden hat, der wohl die aktuelle Situation ins Rollen gebracht hat.


Was mir in Kyiv besonders auffällt, und das ist/war mein erster Eindruck, wenn ich mich festlegen müsste, sind die riesigen Gebäude, Torbögen, Straßen. Es ist einfach alles extrem großzügig dimensioniert: Die Straße ist sechsspurig, dann gibt es einen extra breiten Streifen links und rechts für Fußgänger, Radfahrer und kleine Kioske und Gastgärten.

Natürlich ist auf den Straßen nicht übertrieben viel los (normaler Arbeitsalltag abzüglich Touristen), aber ich kann mir schwer vorstellen, dass es hier - auch wenn der Tourismus zurückkehrt - je so ein Gedränge gibt wie auf der Mariahilferstraße an einem Samstagvormittag. Aber vielleicht irre ich mich, ich habe keinen Vergleich.

Viele Gebäude sind, was wir uns unter "Altbauten" vorstellen, also mit dicken Mauern und hohen Räumen (wie mein Hotel übrigens auch), das macht ein 12-stöckiges Gebäude gleich noch um einiges massiver.

Diese "Massivität" ist es auch, was meiner Meinung nach Kyiv von Städten wie Vancouver oder Boston unterscheidet: Vielerorts wird sehr hoch, aber schmal gebaut, mit viel Glas, was filigran wirkt, auch das "neue" Wien ist ein gutes Beispiel dafür. In Kyiv gibt es auch sehr hohe Gebäude (und es werden laufend neue gebaut), aber sie sind tendenziell breiter aufgestellt und stehen auch in guter Gesellschaft, was das betrifft.

Aber vielleicht irre ich mich, da wäre eine fachliche Bewertung eines Städtebauers interessant. Es ist auf jeden Fall mein subjektives Gefühl, dass sich hier alles sehr groß, massiv, schwer, "geerdet" anfühlt.

A propos "geerdet": Die breiten Straßen sind oft mittels Unterführungen zu "unterqueren", wo sich dann auch gleich noch eine neue Welt auftut: Kleine Einkaufszentren nämlich, teilweise ziemlich nobel, andernorts eher mit Bauernmarkt-Flair.

Das Rausfinden am richtigen Ausgang wird dadurch noch komplizierter, vor allem für eine wie mich, die unter freiem Himmel einen ausgezeichneten Orientierungssinn hat, selbigen aber in Innenräumen sofort verliert.

Wohnanlage "Tetris Hall"


Begrünte Dächer, auch viel zu sehen:



So, das war der erste Foto-Ausflug. Ich sag's gleich, ich habe auch viele Fotos NICHT gemacht, es fühlt sich zum Teil einfach falsch an, auch wenn man hier vom Krieg wirklich kaum etwas mitbekommt, wenn man von diversen Plakaten absieht.


Gestern früh war ich übrigens mit einem steifen G'nack aufgewacht, was mich nicht verwundert hat nach den Reisetagen im Zug bei diversen offenen Fenstern und dem ersten Tag hier im Hotel bei laufender Klimaanlage (es war sehr heiß drinnen, auch wenn es draußen ganz angenehm war, aber ich hab' Abendsonne).

Ja, und heute nacht habe ich dann festgestellt, dass es anscheinend doch nicht am Zug gelegen ist, sondern am hohen Kopfpolster: Um Mitternacht aufgewacht, und mich fast nicht rühren können! Umbauarbeiten vorgenommen, dann ging's, G'nack heute besser. Alles nicht so einfach!


Im Übrigen befinde ich mich anscheinend zur Zeit in guter, ähm, zumindest in Gesellschaft: In den letzten Tagen waren unter anderem Mike Pence, Greta Thunberg, Raimund Löw und und einige österreichische Abgeordnete (u.a. Beate Meinl-Reisinger, Helmut Brandstätter - beide NEOS) in Kyiv, gerade eben ist Pedro Sanchez (span. Regierungschef und EU-Ratspräsident für diese Jahreshälfte) hier.


 
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