11.12.2022 |
Nation. |
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Wie schon am Ende des letzten Beitrags angedeutet, mache ich mir immer
wieder Gedanken zum Themenkreis "Heimatverbundenheit", "Nationalstolz",
"Zugehörigkeit". ![]() Es gibt zwei Entitäten, mit denen ich mich identifizieren kann, und das ist einerseits die Steiermark ("Ich bin Steirerin." fühlt sich stimmig an, schon allein weil ich hier geboren und aufgewachsen bin) und andererseits Europa. Ich war unter anderem auch in Wien und Niederösterreich zuhause, hätte mich aber nie als "Wienerin" oder "Niederösterreicherin" bezeichnet. Und auch wenn ich schon mehr als 10 Jahre in der Obersteiermark wohne, kann ich mich nicht ruhigen Gewissens als "Obersteirerin" bezeichnen. Erstens weil ich das Gefühle habe, ich habe das Recht dazu nicht (weil ich weder hier geboren/aufgewachsen bin), und zweitens ist es auch meinerseits nicht stimmig. Weder bin ich hier besonders verwurzelt, noch finde ich Gesinnungs-Gemeinsamkeiten. "Ich mag die Gegend und die Sommer sind angenehmer" scheint mir nicht ausreichend zu sein. Was ich auch schon angedeutet habe: Ich weiß auch mit der Bezeichnung "Österreicherin" immer weniger anzufangen. Je älter ich werde, je mehr ich über unsere Politik- und Medienwelt erfahre, und über selbige Einblick in Einstellungen und Gesinnung meiner Mitbürger bekomme, umso weniger fühle ich mich hier zugehörig. Ich schätze bis zu einem gewissen Grad die Fähigkeit - vor allem im Vergleich mit unseren deutschen Nachbarn - auch mal 5 grade sein zu lassen, aber als Gesellschaft scheinen wir ein Maß an Realitätsverweigerung (Ist das das richtige Wort?) zu haben, mit der ich mich nicht identifizieren kann und will. Ich finde "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst" auch sehr sympathisch, ganz kann ich meine Wurzeln nicht leugnen, aber man könnte diese Todesverachtung auch dafür nutzen, für eine bessere Zukunft zu arbeiten als sich fatalistisch einzubetonieren auf dem Status Quo. Wie oft hattee ich im heurigen Jahr Van der Bellens Satz "So sind wir nicht!" im Ohr und mir dazugedacht: "Oh doch, genau so sind wir: Würdige Bewohner einer Bananenrepublik." ✗ Wir sind nie an irgendwas schuld, wir machen immer alles richtig. ✗ Selbst wenn sich herausstellt, dass etwas schief gelaufen ist, sind WIR auf jeden Fall nicht verantwortlich. ✗ Anschein ist wichtiger als Sein. Hauptsache, es glänzt und schaut schön aus. "Außen hui, innen pfui" ist unser Motto.. ✗ Regeln sind dazu da um gebrochen zu werden, EGAL OB SIE SINNVOLL SIND ODER NICHT. ✗ Das war schon immer so, also soll es auch so bleiben, was kann man schon machen, und irgendwie ist es ja auch ganz okay. ✗ Nur nicht festlegen, dann kann man nichts falsch machen und daher - siehe oben - nie schuld sein. ✗ Ich mach' mir die Welt widde widde wie sie mir gefällt. ✗ Hauptsache MIR geht's gut, eventuell auch noch der Familie und Freunden, alles andere geht mich nichts an. ✗ Wir haben kein Problem, alles in Ordnung, hier gibt es nichts zu sehen. "krach" Oh je, das hat ja nun keiner ahnen können! ✗ Schau ma mal, dann seh' ma schon. ✗ Kopf in Sand, wird schon nix sein. ✗ ... Allein, dass irgendwer noch die ÖVP wählen kann nach allem, was in den letzten Jahren aufgeflogen ist, ist mir ein Rätsel. Und diejenigen, die das nicht mehr können, fliehen in die Arme der FPÖ. Was sind "wir" für Leute, die immer wieder auf die gleichen Blender reinfallen, die einfache Lösungen versprechen? Ich weiß schon, wir sind nicht gerade mit attraktiven Alternativen gesegnet, ich weiß auch nicht mehr, wen ich noch wählen soll (die NEOS? Muss ich ernsthaft beim nächsten Mal NEOS wählen?), wenn ich will, dass wir endlich mal mehr Transparenz und weniger Korruption in die Politik bekommen. Und wenn wir schon beim Wünschen sind: Bitte mehr echte Problemlösungskompetenz und weniger Ideologie. Danke. Mir kann zum Beispiel keiner weismachen, dass man unser Asyl - Integrations - Migrations - Arbeitskräftemangel - Problem wenn schon nicht lösen, dann zumindest wesentlich besser angehen könnte, als es derzeit geschieht - wenn man nur wollte. Aber es nützt halt (fast) allen mehr, wenn man es als Problem vor sich herträgt und dies nutzt, um zu spalten, zu beschuldigen, Stimmung zu machen. Anyway. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie Amerikaner ihre Nation ganz anders betrachten, vor allem frisch eingebürgerte Menschen. Ich hab einmal ein Video von der Zeremonie gesehen, bei der alle möglichen Leute die Staatsbürgerschaft verliehen bekommen haben, die noch nicht lange in den USA sind, mehr schlecht als recht die Sprache sprechen und mit voller Inbrunst sagen "I am now an American.". Wie geht das? Was ist da das entscheidende "Ding", das "Amerikaner sein" ausmacht? Haben wir das in Österreich auch? Ich habe gestern das Buch "The Zelensky Effect" gelesen, in dem auch intensiv die Zeit des Wahlkampfes und die Präsidentschaft vor dem 24. Feber beschrieben wird, und darüber wusste ich bis dato gar nichts. Das Buch wurde anscheinend von glühenden Fans geschrieben, das muss ich vorausschicken, Anhänger Poroschenkos würde vermutlich manches anders beschreiben bzw. beurteilen. Viele Erkenntnisse bauen auf Analysen seiner zahlreichen Reden auf, die genau zerlegt und verglichen wurden. Ein Prinzip fällt dabei besonders aus, was unter anderem auch Österreich ganz gut tun würde. Während viele der vorangegangenen Präsidenten und andere gelernte Politiker das immer Gleiche gemacht haben, vor allem wenn es eng wurde (das erinnert auch stark an Österreich, wenn in die Ausländerkiste gelangt wird), nämlich zu spalten (russischsprachig vs. ukrainischsprachig, West gegen Ost, Nord gegen Süd,...), hat Zelensky die Identität eines Ukrainers, einer Ukrainerin eben NICHT an ethnischen, sprachlichen, kulturellen,... Eigenschaften festgemacht, sondern am Verhalten: Wenn du in der Ukraine lebst, dich zugehörig fühlst und mit deinem Verhalten der Gesellschaft nützt (Steuern zahlst, dich an Regeln und Gesetze hältst, ehrenamtlich tätig bist, deine Staatsbürgerpflichten erfüllst,...), dann bist du Ukrainer. Das hat anscheinend Einwohnern sowohl im Westen, als auch im Osten, Norden und Süden gefallen, wie auch Menschen mit ukrainischen, russischen, ungarischen, polnischen, armenischen, georgischen,... Wurzeln. Er wurde in (fast: Ausnahme Lwiw Oblast) all diesen Gruppen mit deutlicher Mehrheit gewählt. Ganz allgemein wurden dadurch Vertrauen in die Demokratie, ein (patriotisches) Pflichtgefühl gegenüber dem Staat und Engagement für politische Aktivitäten gestärkt. Auf dieser Basis hat er durch diverse Krisen geführt: Willst du deinem Land helfen, dann folge den Pandemie-Empfehlungen, trag' die Maske, halte Abstand, lass dich impfen. (Wie fast überall auch hat allerdings seine Beliebtheit im Verlauf der Pandemie stark gelitten...) Schon vor dem Krieg war es Zelensky gelungen, mehr und mehr Menschen in dem Wunsch zu vereinen, einen EU-Beitritt anzustreben und daher alles dafür zu tun, um die Kriterien dafür zu erfüllen: demokratischer zu werden, weniger korrupt, weniger gespalten, wirtschaftlich erfolgreicher, in die Zukunft gewandt, offener, toleranter,... Vielleicht schaut so erfolgreiches "Nationbuilding" aus. Bestimmt gibt es auch in der Ukraine enorme Beharrungskräfte, vor allem unter jenen, die unter dem bisherigen System profitiert haben, aber wir werden sehen, wie sich das entwickelt, wenn dieser elendige Krieg endlich vorbei ist. Österreich hingegen geht genau in die entgegengesetzte Richtung, wie mir scheint, und das finde ich sehr deprimierend. Es fühlt sich an, als hätte dieses Land "Verkrustung im Endstadium", und ich habe momentan keine Hoffnung, dass sich das irgendwann ändern könnte. Die nächste Regierung wird wahrscheinlich wieder schwarz-blau werden, die SPÖ wird weiterhin herumschlingern und vor allem mit sich selbst beschäftigt sein, und was die restlichen Kleinparteien wollen oder nicht, spielt eh kaum eine Rolle. Und der gelernte Österreicher wird das schulterzuckend hinnehmen und froh sein, dass sich zumindest um "die Auslända" gekümmert wird. Weil solange es irgendwem schlechter geht als mir, ist die Welt noch in Ordnung. [DISCLAIMER (15.12.2022): Nur um es ganz deutlich zu machen, man kann ja in Zeiten wie diesen nicht vorsichtig genug sein: Das sollte kein verstecktes Plädoyer gegen Österreich als Nation sein. Ich will einen funktionierenden Staat mit funktionierenden Institutionen und Behörden, und einer Politik, die sachlich Probleme angeht, vor allem auch die mittel- und langfristigen, anstatt sich von Wahl zu Wahl (egal auf welcher Ebene) und von Umfrage zu Umfrage zu hangeln. Und vielleicht braucht das österreichische Volk ganz besonders Politiker, die moralische und rationale Vorbilder sind, die vermitteln können, dass a) man manchmal kurzfristig schmerzhafte Einschnitte und Veränderungen hinnehmen muss, um langfristig zu guten Ergebnissen zu kommen und b) dass wenn allen geholfen wird, auch dem Einzelnen geholfen ist - und nicht umgekehrt, nach dem Motto: Mir geht's vor allem dann gut, wenn's mir besser als dem Nachbarn geht.] |
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